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Das Geheimnis der Streetfoodköchin mit Michelin-Stern

Bangkoks Streetfood ist legendär, ein Imbiss ist sogar gerade von Michelin ausgezeichnet worden. Doch nun verbieten die Behörden mehr und mehr Stände – eine neue Ordnungswut, die nicht nur Touristen ärgert.

Bangkoks Garküchen haben mehr zu bieten als Armeleuteessen. Das führt in der thailändischen Hauptstadt niemand so gut vor wie Supinya Junsuta. Die 72-jährige Köchin steht seit vier Jahrzehnten hauptberuflich am Herd.

Bei der Arbeit trägt sie stets dunkelroten Lippenstift und eine Skibrille, mit der sie ihre Augen vor den Alltagsgefahren des Streetfood-Geschäfts schützt: Funken sprühen aus dem Kohleherd, und das Fett spritzt in alle Richtungen, wenn die Köchin ihr Spezialgericht zubereitet.

Für ihr stadtbekanntes Krebsomelette braucht Frau Supinya, die von ihren Gästen meistens nur mit ihrem Spitznamen Jay Fai angesprochen wird, literweise Öl. Sie vermischt zwei Eier mit Gewürzen und einer großen Portion an frischem Krebsfleisch – die großzügig eingesetzte teure Zutat macht das Gericht einmalig in der Stadt. Jay Fai frittiert die Masse, bis das Omelette goldbraun ist. Sie bereitet alle Bestellungen selbst zu, um sicherzustellen, dass es auch jedes Mal gleich gut schmeckt.

Mit guten Zutaten und konstant hoher Qualität hat sich Jay Fai nicht nur eine Fangemeinde in Bangkok erarbeitet. Sie hat auch die globale Gourmetszene überzeugt. Die Restauranttester des renommierten „Guide Michelin“ zeichneten Jay Fais Garküche im Dezember 2017 in der ersten Thailand-Ausgabe des Restaurantführers mit einem Stern aus. Der Streetfood-Imbiss steht in Bangkok damit in einer Reihe mit 16 Feinschmeckerlokalen und noblen Hotelrestaurants, die einen Stern ergattern konnten.

Garküchen in Bangkok sind weltweit beliebt

Mit ihrer Entscheidung machen die Michelin-Juroren eine Erkenntnis international publik, die in Bangkok schon lange niemand mehr infrage stellt: Die besten kulinarischen Erlebnisse der Stadt finden sich oft an den einfachsten Orten. Tausende Händler haben mit ihren Ständen und kleinen Lokalen am Straßenrand die thailändische Metropole als Epizentrum des Streetfoods etabliert.

Doch während die globale Aufmerksamkeit für die unprätentiösen Garküchen wächst, bekommen sie in Thailand selbst zunehmend Probleme: Die Behörden der Hauptstadt stören sich am Wildwuchs der Standbetreiber, gleichzeitig schwindet der Platz für die Straßenköche. Ihre Holzkohlegrills und Suppentöpfe müssen Wohnhochhäusern und Einkaufszentren weichen.

Die schlechte Nachricht kam bereits im April 2017: Ein ranghoher Vertreter der Bangkoker Stadtregierung kündigte an, dass die kochenden Straßenhändler in sämtlichen 50 Distrikten der Metropole verschwinden müssten. Man wolle die Gehwege wieder zurück an die Fußgänger geben und für Hygiene und Sauberkeit sorgen, lautete die Begründung der Behörden.

Erst nach einem Aufschrei der Streetfood-Fans – quasi halb Bangkok protestierte – rückte man von den Plänen ein Stück weit ab. Von einem generellen Streetfood-Verbot ist nun keine Rede mehr. Die Kernforderung aber blieb bestehen: Mobile Stände müssen von den Hauptstraßen verschwinden. An vielen Orten in Bangkok ist das bereits geschehen.

Streetfood hat auch eine gesellschaftliche Funktion

Bangkok verliert damit eine seiner Hauptattraktionen. Die Verdrängung der Straßenimbisse ist aber ein Problem, das weit mehr als nur die Tourismusindustrie trifft. Streetfood hat in Bangkok auch eine gesellschaftliche Funktion.

Viele Gerichte sind für weniger als einen Euro zu haben – auch Geringverdiener können es sich leisten, an den Ständen zu essen. Viele haben auch gar keine andere Option: Einfache Wohnungen in Bangkok haben oft keine Küche. Wer wenig verdient, ist für frisch gekochte Mahlzeiten auf die günstigen Garküchen angewiesen.

Der Großteil der Budenbesitzer kann nur träumen von dem Zuspruch, den die neue Sterneköchin Jay Fai findet. Bei ihr hat sich kurz nach der Auszeichnung sogar der Chef der Militärregierung, Prayuth Chan-ocha, angekündigt.

Die Queen of Streetfood verfügt zudem über einen Joker, den sie sofort ziehen würde, falls sie je ihre Stühle und Tische vom Gehweg räumen müsste: Es gibt noch einen zusätzlichen Gastraum, in dem Jay Fai ihre Kunden bewirten kann, im Ernstfall wäre sie also nicht auf den Straßenrand angewiesen.

Tausende Straßenimbisse bereits verschwunden

Viele ihrer Kollegen haben diese Möglichkeit nicht. Die Gegend rund um die beliebten Einkaufszentren am Siam Square war eine der ersten, aus der die Essenshändler mit ihren mobilen Ständen verbannt wurden.

Auch das beliebte Ausgehviertel Thonglor bot noch vor wenigen Monaten Dutzende Stände, wo scharfer Papaya-Salat oder dünne Reisnudeln in würziger Hühnerbrühe bis spät in die Nacht serviert wurden. Inzwischen gehört die größte Straße des Viertels allein den Autos und Motorrädern – die Hungrigen müssen sich anderswo umsehen.

Einer, der weiß, wo man sich umsieht, ist Michael Biedassek. Auf Empfehlungen von ihm sollte man hören, denn in der Bangkoker Streetfood-Szene kennt sich kaum jemand so gut aus wie er. Dabei ist Biedassek selbst ein Zugereister. Er wuchs als Sohn eines deutschen Vaters und einer thailändischen Mutter in Deutschland auf. Mit 16 machte er seinen ersten Rucksackurlaub in Thailand.

Bangkok ließ ihn seither nicht mehr los. In den Schulstunden zeichnete er aus dem Gedächtnis Stadtpläne der thailändischen Metropole. Mit Anfang 20 traf er dann die Entscheidung, die sein Leben veränderte: Während seine Mutter in Deutschland blieb, zog er in ihre alte Heimat. Das war vor anderthalb Jahrzehnten. Heute leitet Biedassek den Spezial-Touranbieter Bangkok Vanguards, der in seinen Führungen authentische Einblicke in das Stadtleben bietet.

Händler müssen Hochhäusern und Einkaufszentren weichen

Biedasseks Liebe zu Bangkok ist allerdings kompliziert geworden. Denn an vielen Orten verliert die Stadt an Flair. Die Bilanz der jüngsten „Säuberungsaktion“ ist für ihn schon deutlich zu spüren. Seine Tourgäste führt Biedassek gern zu den Geheimtipps unter den Straßenköchen, die hauptsächlich von thailändischem Publikum besucht werden.

Doch es gibt immer weniger Gegenden, in denen er fündig wird. „In den Gebieten, die die Stadtregierung als das Gesicht Bangkoks ansieht, wurden sämtliche Straßenmärkte geschlossen. Mit ihnen sind auch Tausende Straßenhändler und ihr Essen verschwunden.“

Das gilt auch für den Distrikt Phrakhanong, der im Osten der Stadt an der Hauptverkehrsader Sukhumvit liegt. Hier soll der Verkehr besser fließen, also wurden die Imbisse auch hier untersagt. Nur noch eine anderthalb Meter hohe Verbotstafel erinnert daran, dass hier einmal gekocht wurde. Die Aufschrift warnt: Wer weiterhin Essen verkauft, wird mit einer Geldbuße von 2000 Baht – umgerechnet 50 Euro – bestraft.

Arm und reich sitzen auf den selben Plastikhockern

Michael Biedassek führt die Teilnehmer seiner heutigen Fahrradtour zu einem alten Nudelsuppenstand in Chinatown. Die Gegend ist noch immer deutlich als Arbeiterviertel erkennbar, links und rechts stapeln sich bei Schrotthändlern Teile alter Autos übereinander. Die Eiernudeln schmeckten nirgendwo so gut wie hier, sagt Biedassek. Beliebt sind solche Läden in allen sozialen Schichten, hier sitzen Arm und Reich auf denselben Plastikhockern und essen an denselben Tischen.

In Chinatown, das jede Nacht in den grellen Neonfarben der Reklametafeln erstrahlt, strömen abends Tausende Touristen und Einheimische an die bunte Yaowarat-Straße – für kulinarische Abenteuer zwischen gegrillten Tintenfischen und Sesambällchen in Ingwersuppe.

Die Straße wurde von den Behörden explizit von den Streetfood-Verboten ausgenommen. Dass es in der Stadt strengere Regeln gibt, hat hier sogar etwas Gutes: Eine Absperrung schützt die Gäste neuerdings beim Flanieren vor vorbeirasenden Autos und Tuktuks.

Michael Biedassek ist optimistisch, dass Streetfood aus Bangkok niemals ganz verschwinden wird. Hauptstraßen und Geschäftsviertel würden zwar immer mehr an saubere und durchorganisierte Metropolen wie Singapur erinnern. In Bangkoks Nebenstraßen sei die Garküchenkultur aber nicht totzukriegen: „Streetfood wird weiter seinen Platz haben.“

Wird der Michelin-Stern Jay Fais Restaurant ändern?

Aber wie lange können die Traditionsgerichte noch so wie früher auf den Tisch kommen? Diese Frage stellt sich auch bei Jay Fais Sterne-Garküche. Anlässlich der Michelin-Auszeichnung bemerkte ein Koch, der mit der Preisträgerin befreundet ist, in einem wehmütigen Eintrag bei Instagram, dass es in dem Lokal nun wohl nie wieder so sein werde wie zu alten Zeiten.

Zumindest derzeit sieht das tatsächlich so aus: Weil so viele Menschen das nun weltberühmte Essen ausprobieren wollen, sind die ohnehin schon langen Wartezeiten auf mehrere Stunden angewachsen.

Die Betreiberfamilie will dennoch ihr Bestes geben, damit das Lokal möglichst so bleibt, wie es vor dem Besuch der Michelin-Juroren war. „Ich glaube, der Stern wird unser Restaurant nicht ändern“, sagt Jay Fais Tochter Yuwadee. „Wir versuchen, den Standard zu halten.“ Bisher klappt das. Weder haben sie ihren Imbiss auf vornehm getrimmt, noch haben sie die Preise erhöht.


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